„Zuerst wies sie uns ab, jetzt sehnt sie sich nach Nähe: Die Wandlung einer Mutter im Schatten der Einsamkeit“

Manchmal ist Stille lauter als jedes Geschrei. Vor einem Jahr sagte meine Mutter zu mir: „Du störst mich nur noch.“ In diesem Moment machte es *klick* in mir – nicht laut, aber für immer. Und jetzt? Sie ruft ständig an, steht unangemeldet vor der Tür, wirft mir vor, ich würde mich nicht kümmern. Ihre Einsamkeit ist plötzlich meine Schuld. Ihre Leere – meine Pflicht. Nur scheint irgendwie niemand mehr zu wissen, wie alles anfing.

Ich heiße Luise. Geboren in Bremen. Ich habe einen Mann, einen kleinen Sohn, einen Job und eine Vergangenheit, über die ich immer noch nicht ohne Bitterkeit sprechen kann. Meine Kindheit roch nach Schnaps, war erfüllt von Geschrei hinter dünnen Wänden und den Tränen meiner Mutter. Mein Vater soff. Richtig. Nicht nur ein Gläschen zum Feiern – nein, er trank, als gäbe es kein Morgen. Danach wurde er wild, schlug meine Mutter, demütigte sie. Ich betete, sie würde gehen. Doch sie blieb. Sie ertrug es.

Als ich mein Studium in Münster begann, lebten wir schon allein – mein Vater war endlich verschwunden. Oder besser: Er wäre gegangen, wenn Oma nicht gestorben wäre. Nach der Beerdigung trennte sich meine Mutter von ihm, und wir blieben zu zweit in der Wohnung, die Oma uns je zur Hälfte hinterlassen hatte.

Ich zog ins Studentenwohnheim – sparte mir den Pendelstress und wollte ein bisschen Freiheit. Wochenends kam ich nach Hause, half. Doch als ich mein Studium beendete, heirateten mein Freund und ich. Die Frage war nur: Wo wohnen? Ich nahm allen Mut zusammen und fragte, ob wir kurz bei ihr einziehen könnten. Immerhin war die Wohnung ja auch meins.

Ihre Antwort kenne ich noch heute auswendig:

*„Und wann fange ich endlich an zu leben? Ich habe genug gelitten! Jetzt will ich mal an mich denken!“*

Ich diskutierte nicht. Weinte nicht. Ich ging einfach. Meine Schwiegermutter bot uns an, zu ihr zu ziehen. Wir nahmen an. Damals dachte ich noch: Meine Mutter ist einfach müde. Das darf sie. Ich schluckte den Groll, sagte nichts. Hielt Abstand.

Dann wurde ich schwanger. Ungeplant, aber nicht unerwünscht. Mein Mann jobbte nebenbei, ich arbeitete remote. Wir kämpften uns durch. Meine Schwiegermutter wurde mein Schutzengel: half mit dem Baby, kochte, ließ mich schlafen. Wir sparten auf eine eigene Wohnung. Es war hart, aber wir schafften es.

Und meine Mutter? Sie meldete sich nicht. Nicht während der Schwangerschaft. Nicht nach der Geburt. Kein Anruf, kein Geschenk, kein Interesse. Als gäbe es mich nicht.

Doch plötzlich, nach einem Jahr, fing es an. Ständige Anrufe. Mal ist ihr langweilig, mal geht’s ihr schlecht, mal hat sie „Bluthochdruck“, mal wirft sie mir vor: *„Du meldest dich nie! Ich bin dir egal!“* Sie tauchte unangekündigt auf, verlangte, ich solle mit dem Enkel vorbeikommen. Machte mir Vorwürfe:

*„Ich habe dich großgezogen, und du willst nicht mal Zeit mit mir verbringen? Soll ich etwa allein versauern? Undankbar bist du.“*

Da tat es weh. Nicht wegen ihrer Worte – sondern weil sie vergessen hatte, wie sie mich abwies, als ich sie brauchte.

Sie fragte nicht, als mir vor der Geburt die Hände zitterten. Sie interessierte sich nicht dafür, wie ich mit den schlaflosen Nächten klarkam. Sie hielt mein Baby nie im Arm. Und jetzt verlangt sie Liebe, Aufmerksamkeit, Wärme. Als wäre nichts gewesen. Als stünde ich in ihrer Schuld.

Mein Mann vermutet, dass ihre Beziehung in die Brüche ging. Dass die Einsamkeit sie an mich erinnerte. Dass ich jetzt ihr „Projekt“ bin. Nur bin ich keine Puppe. Ich habe eine eigene Familie. Ein Kind, Verpflichtungen, einen Job. Ich kann kein Therapeut für jemanden sein, der mich einst aus seinem Leben strich.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Schweigen ist hart. Streit will ich nicht. Aber still vergeben? Das geht nicht mehr. Eine Tochter zu sein heißt nicht, Opfer zu sein. Und Liebe lässt sich nicht einfordern – schon gar nicht von jemandem, den man selbst wegstieß.

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Im Schatten der Prüfungen