Schatten der Vergangenheit: Familiendrama entfaltet sich

Schatten der Vergangenheit: Ein Familien-Drama um Maria

Maria, müde und mit schweren Taschen voller Leckereien beladen, stieg die knarrende Treppe des alten Hauses in der Münchner Innenstadt hoch. Die Wohnungstür ihrer Tochter quietschte leise, als sie aufging, und da stand Lydia, ihre älteste Tochter. Als diese die schwer bepackte Mutter sah, verzog sie das Gesicht.

„Mama, warum bringst du denn so viel mit?“ rief sie und musterte Marias erschöpftes Gesicht. „Das essen wir doch gar nicht, weißt du!“

„Ich wollte euch doch was Gutes tun“, antwortete Maria leise und versuchte zu lächeln. „Kleinigkeiten für Sophie und Markus.“

Sie gingen in die Küche, wo es nach angebranntem Eintopf roch. Lydia warf die Taschen auf den Boden und rief ins Wohnzimmer:

„Sophie, komm, Oma ist da!“

Maria wollte sich die Hände waschen und ging Richtung Bad. Im schmalen Flur hörte sie plötzlich, wie Lydia und Sophie über sie redeten. Ihr Herz zog sich zusammen, sie erstarrte und lauschte. Die Worte, die sie aufschnappte, brannten wie glühendes Eisen.

Maria saß auf der Bank vor dem Haus und holte tief Luft. Die Taschen mit Gemüse und Eingemachtem aus ihrem Garten im bayerischen Dorf standen neben ihr. Sie brachte ihrer Tochter und Enkelin immer Selbstgemachtes mit – Kartoffeln, Gewürzgurken, Marmelade. Wie sollte es anders sein? In der Stadt aßen sie nur Fertiggerichte, Tiefkühl-Ravioli oder bestellten Essen. Maria seufzte. Die Reise war lang gewesen – Stunden in der stickigen S-Bahn, dann noch der Bus durch die staubigen Münchner Straßen. Niemand hatte sie abgeholt, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Am Vorabend hatte sie Lydia noch angerufen, um Bescheid zu sagen. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, ihr Herz schmerzte nach ihrer Tochter und Enkelin.

„Mama, wozu das ganze Gepäck?“ wiederholte Lydia, als sie in der Wohnung waren. „Wir haben kaum Platz, wo soll das alles hin?“

„Habe ich ja nicht für mich mitgeschleppt“, entgegnete Maria und sah ihre Tochter mit warmem Blick an. „Das ist für Sophie und Markus. Geräucherter Speck, Gurken, Himbeermarmelade – Sophie liebt sie doch.“

Lydia seufzte schwer und hob eine der Taschen hoch. Ihr Blick streifte die Mutter mit kaum verhohlener Gereiztheit. Maria hingegen betrachtete ihre Tochter mit Zuneigung und erinnerte sich daran, wie sehr sie sich einst ein Mädchen gewünscht hatte. Erst kam der Sohn, dann endlich Lydia. Der Sohn lebte jetzt in Hamburg, viel zu weit weg für regelmäßige Besuche. Aber Lydia war hier in München, nur ein paar Stunden entfernt. Doch jedes Mal, wenn Maria kam, lag eine unbehagliche Spannung in der Luft.

Lydia hatte Sophie direkt nach der Schule bekommen. Der Vater, ein verheirateter Ingenieur, wollte nichts von dem Kind wissen. Seine Frau hatte Maria damals überredet, ihren ersten Enkel – Lydias Sohn – an sie abzugeben. Die Erinnerung an den kleinen Jungen schmerzte Maria noch immer. Er war die Kopie ihres Mannes, des Großvaters der Mädchen. Wie schwer war es gewesen, ihn gehen zu lassen! Doch Lydia zog in die Stadt, heiratete Markus, bekam Sophie. Der Junge blieb bei der fremden Familie, und wenn Maria an ihn dachte, brach ihr Herz.

Sophie kam aus ihrem Zimmer gestürmt – lockiges Haar, große Augen. Maria vergaß ihre Müdigkeit und wollte die Enkelin umarmen, doch diese entzog sich ungeschickt.

„Oma, nicht so!“, murmelte Sophie und wich zurück.

„Wie groß du geworden bist“, lächelte Maria und wischte sich eine Träne weg. „Ich habe dir eine Mütze gestrickt, warme Socken.“ Sie griff zur Tasche, doch Sophie war schon wieder verschwunden.

Am Esstisch war es still. Lydia stellte einen Teller Gemüseeintopf vor Maria hin.

„Das ist alles, was wir heute haben. Ich kann auch Nudeln machen“, bot sie ohne große Begeisterung an.

Maria, hungrig von der Reise, nickte, aber bei ihrer Tochter fühlte sie sich immer wie eine Last.

„Ich hole schnell was von meinen Sachen, dann können wir richtig essen“, versuchte sie, die Stimmung aufzulockern.

Lydia verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Maria aß den dünnen Eintopf, ohne Sahne, ohne Fleisch. Ein Stück Brot stillte den Hunger ein wenig, doch die Leere in ihrem Herzen blieb. Die Taschen mit ihren Mitbringseln standen unberührt in der Küche. Vielleicht hatten sie Geldprobleme, dachte Maria. Heimlich schnitt sie eine Scheibe Speck, legte sie auf Brot mit Zwiebelringen und aß hastig, als fürchte sie, ertappt zu werden.

Abends kam Markus nach Hause. Er begrüßte sie flüchtig, aber zum Essen wurde Maria nicht eingeladen. Sie saß in Sophies Zimmer, wo sie schlafen sollte. Die Enkelin, in ihr Tablet vertieft, beachtete sie nicht. Maria fühlte sich wie eine Fremde. Genauso war es beim letzten Besuch gewesen – kühle Höflichkeit, peinliches Schweigen.

Am nächsten Morgen hetzten Lydia und Sophie zur Arbeit und Schule, Markus folgte kurz darauf. Maria blieb allein. Um nicht untätig zu sein, machte sie Rührei, spülte den Berge schmutzigen Geschirrs und fing an zu putzen. Die Wohnung glänzte, doch ihr Herz schmerzte vor Einsamkeit. Als Lydia am Abend zurückkam, sagte sie, ohne Maria anzusehen:

„Mama, ich habe dir ein Ticket für morgen gekauft. Damit du nicht anstehen musst. Du wolltest doch nicht lange bleiben.“

Maria war baff. Eigentlich hatte sie eine Woche bleiben wollen, wie sie ihrem Mann versprochen hatte.

„Ich bin doch grade erst gekommen“, stammelte sie. „Aber du hast Recht. Es ist eng hier, und ich störe nur.“

Lydia wirkte erleichtert, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Dann hörte Maria, wie Sophie sich beschwerte:

„Oma hat die ganze Nacht geatmet und gerührt, ich konnte kaum schlafen.“

„Halte noch durch, morgen ist sie weg“, flüsterte Lydia.

Die Worte schmerzten wie Messerschnitte. Maria blickte auf ihre Mitbringsel – die Gläser mit Eingemachtem standen ungeöffnet in der Ecke. Die Mütze und Socken, die sie liebevoll gestrickt hatte, hatte Sophie achtlos in den Schrank geworfen.

„Oma, sowas trägt doch keiner mehr“, hatte sie genervt gesagt.

Maria lehnte sich an die Wand, Tränen brannten in ihren Augen. Die Nacht verbrachte sie wach, aus Angst, Sophie zu stören. Am Morgen brachte Markus sie schweigend zum Bahnhof. In ihrer Tasche steckten etwas Speck und zwei Gläser – den Rest hatte Lydia behalten. Bitter lächelte Maria: Immerhin wurde etwas von ihrer Mühe angenommen.

Zuhause erwartete sie ihr Mann Hans mit offenen Armen.

„Marianne, mein Licht ist zurück!“, freute er sich. „Hast du dich bei Lydia erholt?“

Maria zwang sich zu lächeln.

„Der Sohn hat angerufen“, fuhr Hans fort. „Die ganze Familie kommt zu uns, vielleicht bleiben sie den ganzen Sommer!“

Zum ersten Mal seit Tagen spürte Maria Wärme in ihrer Brust. Wenigstens brauchte sie und Hans jemand noch. Sie sah sich in ihrem vertrauten Zuhause um und dachte, dass Familie trotz allem Enttäuschungen das Wichtigste war. Doch tief in ihrem Herzen wusste sie: Die Wunde von Lydias Gleichgültigkeit würde noch lange nicht heilen.

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Ich heiratete eine geizige Frau und machte danach selbst viele Fehler…