Unerbittlich vorwärts
Elfriede Schneider stand vor ihrem jungen Chef und hielt die Hände hinter dem Rücken fest verschränkt. Ihr Blick war entschlossen, in ihrer Brust pochte ein Herz voller Entschlossenheit. Gerade hatte sie ihr Kündigungsschreiben auf den Tisch gelegt, und nun hing eine gespannte Stille im Raum.
Markus, der frisch beförderte Abteilungsleiter, warf einen Blick auf das Papier, dann auf Elfriede, und wieder zurück. Seine Brauen zogen sich leicht nach oben – Überraschung, gemischt mit einem Hauch von Spott.
»Sind Sie sich sicher?«, fragte er kühl und schob das Schreiben beiseite, als wäre es belanglos.
»Absolut«, antwortete Elfriede, ohne den Blick abzuwenden. Ihre Stimme war ruhig, aber eisern.
Markus lehnte sich zurück, verschränkte die Beine. Jung, ehrgeizig, und obwohl er erst seit Kurzem in der Firma war, tat er bereits, als hätte er sie seit Jahrzehnten geführt. Mit Befehlen und ungeduldigen Worten genoss er seine Macht – und das versteckte sich nicht hinter seinem überheblichen Lächeln.
»Elfriede, seien wir ehrlich«, setzte er an und kneifte die Augen leicht zusammen. »In Ihrem Alter einen neuen Job zu finden – nicht einfach. Wollen Sie dieses Risiko wirklich eingehen? Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Sie nicht plötzlich ohne Mittel dastehen?«
»Wer sagt, dass ich ohne Mittel dastehe?«, konterte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
Markus schnaubte belustigt.
»Wollen Sie etwa sagen, Sie haben schon eine neue Stelle?«
»Nein.«
»Genau das meine ich!«, rief er aus und breitete die Hände aus. »Die Zeiten sind hart, besonders für … naja, sagen wir, Menschen in Ihrer Altersgruppe.«
»Ich habe Pläne, Markus. Danke für die Sorge, aber mein Entschluss steht. Bitte unterschreiben Sie das Schreiben.«
Elfriede hatte nicht vor, ihre Träume mit diesem selbstverliebten Jungspund zu teilen. Sie stand da wie ein Fels, bereit, ihre Entscheidung bis zum Ende zu verteidigen. Kein Hauch von Zweifel in ihren Augen – und das schien Markus zu ärgern. In Gedanken spottete er: *Pläne? Was für Pläne kann eine alte Frau schon haben? Socken stricken und Enkel hüten?* Doch er sagte nichts. Elfriedes Kündigung war für ihn ungelegen. So sehr er die »Alten« im Team verachtete – ihr Wissen und ihre Erfahrung hielten die Firma am Laufen. Die Jungen kamen und gingen, verlangten hohe Gehälter und Respekt, während die Älteren still die Hauptlast trugen.
Als er merkte, dass er eine wertvolle Mitarbeiterin verlor, wechselte er die Taktik. Er beugte sich vor, faltete die Hände und sprach sanfter – als wolle er Freundlichkeit vorspielen.
»Elfriede, überlegen Sie es sich noch mal. Der Arbeitsmarkt ist voll von jungen, hungrigen Fachkräften. Sie schnappen sich alle Chancen. Wollen Sie das wirklich riskieren?«
Elfriede unterdrückte ein Lächeln. *Jung und hungrig? Redet er von sich?*, dachte sie und erinnerte sich daran, wie sie erst letzte Woche seine Berichte korrigiert hatte – Fehler, die selbst ein Schüler nicht gemacht hätte.
»Mein Entschluss steht«, sagte sie knapp. »Ich gehe.«
Markus verzog das Gesicht, die Geduld schwindend.
»Sie wirken eigentlich wie eine kluge Frau«, betonte er, besonders das »wirken«. »Hätte nicht gedacht, dass Sie so voreilig handeln.«
Elfriede lachte innerlich. Erst vor Kurzem hatte er sie hinter ihrem Rücken als »alte Schachtel« bezeichnet – sie hatte ihn zufällig im Gespräch mit Kollegen gehört. Jetzt lobte er ihre Klugheit? Welch ein Heuchler.
»Vielleicht haben Sie recht«, erwiderte sie, ihm direkt in die Augen blickend. »Ich bin nicht besonders klug. Wie war das? ‘Alte Schachtel’? Das passt wohl besser.«
Markus errötete leicht – offenbar hatte er nicht erwartet, dass seine Worte ihm um die Ohren fliegen würden. Doch er raffte sich schnell wieder und kehrte zur gewohnten Arroganz zurück.
»Na gut, ich habe versucht, Sie zu besänftigen. Aber wenn Sie so wollen … Ich unterschreibe. Sie können gehen.«
»Danke«, antwortete sie kurz.
»Und denken Sie nicht, Sie könnten die Kündigungsfrist sabotieren«, fügte er drohend hinzu. »Für jeden Fehler gibt’s Abzüge. Kein Engagement – kein Gehalt.«
»Keine Sorge, Markus«, lächelte Elfriede. »Ich arbeite wie immer gewissenhaft.«
Ihre Ruhe machte ihn nur wütender. Er presste die Lippen zusammen, schwieg aber.
»Übrigens«, warf sie ein, schon an der Tür, »ich habe Ihre Tabellen geprüft. Alle Fehler sind korrigiert – diesmal ersparen Sie sich also die Blamage vor den Kollegen.«
Markus’ Augen funkelten, doch bevor er antworten konnte, war sie schon draußen.
Elfriede ging durch den Flur und spürte, wie sich eine warme Freiheit in ihr ausbreitete. Die Entscheidung zu gehen – nach fünfzehn Jahren in dieser Firma – war nicht leicht gewesen. Noch vor Kurzem hätte sie den Gedanken an Kündigung für verrückt gehalten. Hätte ihr jemand vorhergesagt, dass sie eines Tages ihr Schreiben auf den Tisch legen würde, hätte sie nur gelacht. Doch jetzt, zum ersten Mal seit Jahren, fühlte sie Erleichterung, als wäre eine schwere Last von ihr gefallen.
Die Arbeit in der kleinen Logistikfirma in Kassel hatte längst keine Freude mehr gebracht. Sie saugte die Lebensenergie heraus, vergiftete jeden Tag. Morgens begann es schon mit diesem dumpfen Gefühl: Der Wecker riss sie aus dem Schlaf, und Elfriede lag da, starrte an die Decke, unfähig aufzustehen. Sie hetzte sich durch den Morgen, vergaß das Frühstück, und abends kam sie erschöpft nach Hause. Nur die Wochenenden, wenn sie sich ihren Zimmerpflanzen widmete oder ihre Lieblingssendungen schaute, boten eine Verschnaufpause. Doch am Montag ging das Elend von vorne los.
Doch so war es nicht immer gewesen. Vor fünfzehn Jahren, als sie anfing, brannten ihre Augen vor Begeisterung. Sie lernte mit Feuereifer, der Zusammenhalt im Team war stark, und die Chefs respektierten die Mitarbeiter. Das Gehalt war solide, für damalige Verhältnisse. Doch mit dem neuen Management änderte sich alles. Junge, überhebliche Vorgesetzte – oft inkompetent, aber mit großem Ego – machten die Arbeit zur Hölle. Demütigungen, Kleinigkeiten als Anlass für Abmahnungen – das wurde normal.
Viele langjährige Kollegen hatten es nicht ausgehalten und waren gegangen. Elfriede und ein paar andere hielten durch, obwohl der Lohn kläglich und die Bedingungen unerträglich waren. Ihr Erfahrungsschatz und ihre Loyalität hätten Respekt verdient – doch stattdessen ernteten sie nur Spott. Elfriede verstand nicht, wie es so weit hatte kommen können. Schließlich waren sie es, die die Firma am Laufen hielten, die Neulinge einarbeiteten und die Aufgaben meisterten, an denen die Jungen scheiterten.
Im Inneren kochte sie vor Wut über die Ungerechtigkeit, doch die Angst vor Veränderung hielt sie fest. Kündigen? Und dann? Alter, keine Rücklagen, eingeschränkte Branchenkenntnisse – alles erschien wie ein unüberwindbares Hindernis. Sie redete sich ein, dass »alle so leben«, doch es half nichts. Ihre einzige Freude waren die Anrufe ihrer Tochter, Leonie, die nach ihrer Hochzeit nach München gezogen war. Elfriede klagte ihr ihr Leid – über die Arbeit, die Chefs, das Leben.
»MamaElfriede lächelte, als sie die Tür ihres neuen kleinen Blumengeschäfts aufschloss, bereit, endlich ihr eigenes Glück zu pflanzen.