**Im Schatten der Prüfungen**
“Ich bin kein Babysitter”, schnappte Markus. “Ich schufte den ganzen Tag bei der Arbeit.”
“Aber ich muss zum Friseur”, flehte Lena.
“Ruf doch jemanden nach Hause. Das kostet kaum mehr.”
Eltern, die hätten helfen können, hatten sie nicht. Weder Lena noch Markus. Seine Eltern waren vor Jahren nach Kanada gezogen, nach Toronto, und hatten keine Pläne zurückzukehren. Nicht einmal für die Enkel.
“Er ist wunderbar!”, beteuerte Lena über ihren Mann, doch ihre Freundinnen schüttelten nur den Kopf.
Ihre engste Freundin, Anja, verzog den Mund und sagte:
“Ich würde mir das niemals gefallen lassen! Lebst du etwa wie eine Sklavin? Warum benimmt er sich so?”
Es ging um Markus. Er und Lena waren seit sechs Jahren verheiratet, doch ihre Freundinnen hielten es für einen Fehler. Für sie war Markus ein Tyrann, ein Despot, der ihren Willen brach.
Ihr Familienleben war tatsächlich ungewöhnlich. Markus verdiente das Geld – er besaß eine kleine Spedition –, doch zu Hause tat er nichts. Kochen, Putzen, Waschen – alles lag an Lena. Ihr vierjähriger Sohn, Jonas, war ebenfalls ihre Aufgabe. Markus weigerte sich, sie auch nur für eine Stunde ohne ihn zu lassen.
“Ich bin kein Babysitter”, wiederholte er. “Ich bin erschöpft.”
“Kommt doch zu uns!”, schlug ihre Schwiegermutter, Helga, vor. “Jonas und ich hätten eine schöne Zeit zusammen. Und Fliegen? Wir sind zu alt dafür.”
Sie war gerade erst über sechzig, doch Lena konnte sie nicht bewegen, in die kleine Stadt Prien am Chiemsee zu kommen. Markus versprach immer, sie würden eines Tages nach Toronto ziehen, doch es blieb bei leeren Worten.
Lenas Mutter, Monika, hatte sie nach der Scheidung allein großgezogen. Ihr Vater war verschwunden, als Lena zwei Jahre alt war. Sieben Jahre zuvor war ihre Mutter an einer Krankheit gestorben. Damals, in ihrer Trauer, war Markus, mit dem Lena gerade erst zusammen war, ihr Halt geworden. Nicht ihre Freundinnen, sondern er. Anja, die im Nachbarhaus wohnte, war damals erkältet und nicht gekommen, als Lena anrief. Das war verständlich – Anja schützte ihre Gesundheit –, doch in ihrem Schmerz prägte sich Markus ein, der nicht von ihrer Seite wich.
Zwei Jahre später heirateten sie. Drei Jahre darauf kam Jonas zur Welt. Da begriff Lena: Zu Hause war Markus keine Hilfe. Sie schuftete, so gut sie konnte. Treffen mit Freundinnen wurden selten – sie mochten es nicht, wenn sie den Kinderwagen dabeihatte. Jonas konnte quengeln, musste gefüttert und gewickelt werden. Lena sah, wie das ihre Freundinnen nervte, die Abwechslung von ihren eigenen Kindern suchten. Sie blieb den Treffen fern. Niemand vermisste sie.
Manchmal kam Anja vorbei. Sie lebte mit einem Mann ohne Trauschein und wollte keine Kinder.
“Warum nimmst du kein Kindermädchen?”, fragte sie eines Tages.
Lena war überrascht. Wozu ein Kindermädchen? Sie kam doch klar. Markus gab ihr Geld, sie konnte Dienstleister nach Hause bestellen.
“Wozu?”, zuckte Lena mit den Schultern.
“Du bist dauernd mit Jonas zusammen! So kannst du verrückt werden.”
“Wieso? Er ist mein Sohn. Ich liebe ihn.”
“Man braucht auch Pausen. Oder knausert er mit dem Geld?”
Lena schwieg. Sie hatte Markus nie nach einem Kindermädchen gefragt, aber sie wusste, was er sagen würde: “Kümmer dich selbst darum.”
“Genau, und du sagst, er sei toll”, spottete Anja.
“Er ist toll! Mir passt alles. Warum mischst du dich ein?”
Sie stritten, und Anja ging. Lena atmete durch. Alles war gut! Markus war wunderbar. Wer das nicht sah – tschüss.
Markus arbeitete viel, kontrollierte jeden Aspekt seines Geschäfts. Manchmal fand er Zeit für die Familie: Er ging mit Jonas in den Park oder ins Kino. Lena erkannte, wie sehr er seinen Sohn liebte. Doch zu Hause war er hilflos: Er machte sich nicht einmal ein Brot, das war Frauensache.
“Du musst auf dich achten”, dachte Lena, und ihr Herz schnürte sich zusammen. Warum dachte sie überhaupt so?
Eine Woche später erfuhr sie, dass sie schwanger war.
“Super! Jonas bekommt eine Schwester!”, freute sich Markus.
“Gedichte schon?”, lächelte Lena.
Doch die Angst, die kürzlich im Park in ihr keimte, ließ sie nicht los. Markus und Jonas fuhren Karussell, während sie zusah. Zum ersten Mal dachte sie: Er schafft es nicht ohne mich. Und jetzt – ein neues Leben. Freude, aber auch Furcht. Warum? Unklar.
Jonas kam in den Kindergarten.
“Damit du dich schonst. Du bist schließlich schwanger”, sagte Markus.
Doch zu Hause blieb alles an Lena hängen.
“Wie willst du das machen, wenn ich im Krankenhaus bin?”, fragte sie.
“Nicht mein erstes Mal. Ich bin nicht gestorben.”
“Damals gab es Jonas noch nicht.”
“Quatsch. Er isst im Kindergarten. Abends bestelle ich Pizza.”
“Sehr gesund”, seufzte Lena.
Sie rief ihre Schwiegermutter an, deutete an, dass sie sich über einen Besuch freuen würde.
“Bring Jonas zu uns”, antwortete Helga.
Lena beinahe platze heraus: “Er kennt euch doch kaum!” Die Großeltern hatten ihren Enkel nur per Videoanruf gesehen. Das zählte nicht.
Es war klar: Sie würden nicht kommen. Lena redete sich ein, dass Markus und Jonas die drei Tage ohne sie irgendwie überstehen würden.
Der Kindergarten erleichterte ihr Leben. Lena ging einkaufen, ins Schönheitsstudio, sogar ins Kino. Doch der Film war traurig, und sie weinte. Einmal traf sie Freundinnen, lehnte aber Wein ab.
“Immer mit dem Kind – kein Essen, kein Trinken. Jetzt schwanger und Angst vor Wein. Was ist das für ein Leben?”, maulten sie.
“Mein Leben. Und es gefällt mir”, konterte Lena.
Sie entschied, nicht mehr zu den Treffen zu gehen. Zwei Jahre ohne sie – sie würde es schaffen.
Die Schwangerschaft verlief gut. Die Untersuchungen zeigten: Es würde ein Mädchen. Doch mit den Wehen begann der Albtraum. Nachts brachte sie der Krankenwagen ins Krankenhaus.
“Morgens bringe ich Jonas in den Kindergarten und komme zu dir!”, rief Markus.
Sie erklärte ihm alles, hatte Angst, er würde etwas falsch machen.
“Beruhige dich! Ich weiß, wo sein Gruppenraum ist!”, winkte er ab.
Die Ärzte lächelten, der Wagen fuhr los.
Die Geburt dauerte zwölf Stunden. Lena war erschöpft, doch es ging nicht voran. Die zweite Geburt sollte leichter sein, aber heute hatte sie Pech. Ihr Blutdruck war normal, die Ärzte bestanden auf natürlicher Geburt. Die Wehenmittel halfen nicht. Am Ende wurde sie zum Kaiserschnitt gebracht.
Das Mädchen war gesund, doch Lena fühlte sich immer schlechter.
“Mir geht es furchtbar!”, stöhnte sie.
Das Fieber stieg. Untersuchungen, Infusionen – nichts half. Eine Entzündung breitete sich aus, doch die Ursache blieb unklar. Nach drei Tagen durfte Markus mit der Kleinen nach Hause, Lena blieb. Durch das Fieber quälte sie eine Frage: Wie würden sie ohne sie zurechtkommen? Was, wenn sie starb? Was würde aus ihren Kindern?
Professor Bauer, der beste Gynäkologe der Region, wurde gerufen. Er sah Lena an und befahl:
“CT! Sofort!”
Das CT zeigte das Problem. Der Professor sagte:
“Halte durch. Wir müssen dich in ein künstliches Koma versetzen, sonst schaffst du die OP nicht. Alles wird gut.”
Lena nickte schwach. Vor der Narkose hörte sie, dass man ihre Gebärmutter entfernen würde.
“Wie kann das sein? Der KNachdem Lena wieder zu Hause war, erkannte sie, dass wahre Stärke nicht im Alleinhalten liegt, sondern darin, zuzulassen, dass andere für einen da sind – und manchmal zeigt sich Liebe gerade dort, wo man sie am wenigsten erwartet.