Maria seufzte tief, als sie auf das nächste Kochbuch blickte, das ihr Mann achtlos auf den Küchentisch geworfen hatte. Vor zwei Monaten war sie in Rente gegangen und hatte sich auf die lang ersehnte Freiheit gefreut. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie in ihrem gemütlichen Zuhause in Dresden sitzen würde, umgeben von bunten Wollknäueln und Stoffen, während sie ihre Handwerkskunst genoss. Doch ihre Träume zerschellten an der harten Realität wie dünnes Glas unter einem Hammer.
Ihr Mann, Klaus, schien sich verändert zu haben. Seit sie in Rente war, hatte er offenbar beschlossen, dass ihr Leben nun ganz ihm gehören sollte. Jeden Morgen verlangte er aufwendige Gerichte, die Maria mit müden Händen zubereiten sollte. Einfache Kartoffelsuppe oder Schnitzel reichten ihm nicht mehr – jetzt sollte es Ratatouille mit Trüffelöl sein oder Auflauf mit fünf Käsesorten! Er durchstöberte Rezeptseiten und verkündete ohne Rücksicht auf ihre Meinung: „Morgen kochst du das hier!“
Klaus hatte jahrelang eine große Fabrik in der Stadt geleitet und war es gewohnt, Befehle zu erteilen. Aber zu Hause? Da war er zu einem kleinen Tyrannen geworden. Jeden Abend schrieb er Maria eine To-do-Liste für den nächsten Tag, als wäre sie seine persönliche Assistentin und nicht seine Ehefrau. „Du hast doch jetzt alle Zeit der Welt!“, schnauzte er sie an, wenn sie Einwände wagte. Seine Worte schnitten ihr ins Herz wie ein Messer, als würden ihre eigenen Wünsche und Träume gar nichts zählen.
Maria versuchte zu widersprechen und erinnerte zaghaft daran, dass sie eigene Hobbys hatte. Doch die Antwort war nur Spott: „Hast du nichts Besseres zu tun? Ich beschäftige dich, und du bist auch noch undankbar!“ Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt, als würde ihre Persönlichkeit langsam verschwinden, ersetzt durch die Rolle einer willenlosen Dienstbotin. Selbst ihr geliebtes Stricken, das ihr immer Freude bereitet hatte, lag jetzt in einer Kiste verstaubt, weil einfach keine Zeit mehr dafür blieb.
Und dann war da noch seine Forderung, dass sie jeden Morgen zum Kiosk hetzen sollte, um frische Zeitungen zu holen. „Ich will die Morgenausgabe zum Kaffee lesen!“, befahl er, ohne zu bemerken, wie ihr Gesicht vor Erschöpfung erschlaffte. Regen, Schnee oder Kälte – egal, sie musste durch das ganze Viertel rennen, damit er über Politik schimpfen konnte. Maria fühlte sich nicht wie eine Ehefrau, sondern wie eine Maschine, die unendliche Aufträge abarbeitete.
Es ging so weit, dass sie heimlich nach Jobs suchte. Jede Arbeit schien eine Rettung aus dieser erstickenden Kontrolle zu sein. Sie sehnte sich danach, sich wieder gebraucht und wertvoll zu fühlen – nicht wie ein Schatten ihres Mannes. Doch als Klaus herausfand, dass sie sich bewarb, explodierte er: „Du hast dich um mich zu kümmern, nicht um irgendeinen Job! Ich bin deine Priorität!“ Seine Worte hallten in ihrem Kopf nach und ließen das Gefühl der Hoffnungslosigkeit noch stärker werden.
Warum glaubten Männer wie Klaus, dass sie der Mittelpunkt des Universums ihrer Frauen sein müssten? Warum dachte er, dass ihr Leben sich nur um seine Wünsche drehen sollte? Hatte sie kein Recht auf eigene Träume, eigene kleine Freuden? Verdiente sie es nicht, als Mensch und nicht nur als Köchin oder Putzfrau wertgeschätzt zu werden? Diese Fragen brannten in ihr und ließen sie keine Ruhe finden.
Maria wusste, dass die Fürsorge für einen geliebten Menschen wichtig war, besonders wenn er krank oder hilflos war. Doch Klaus war gesund, voller Energie, und trotzdem verlangte er absoluten Gehorsam. Sie erinnerte sich daran, wie sie selbst einmal ihre kranke Mutter gepflegt hatte – das war ihre Entscheidung gewesen, aus Liebe. Aber eine Dienerin für einen gesunden Mann zu sein, der ihre Mühe für selbstverständlich nahm? Das war demütigend. Es fühlte sich an, als sähe er in ihr keine Frau, sondern einen willenlosen Roboter ohne eigene Gefühle.
Wenn sich jemand so aufdringlich um sie kümmern würde, hätte Maria sich beleidigt gefühlt. Es wäre, als würde man ihr das Recht nehmen, eigenständig, stark und lebendig zu sein. Sie wollte niemandes Schatten sein, doch jeder Tag unter Klaus‘ Forderungen nahm ihr ein Stück Seele.
Gestern Abend, als sie wieder eine seiner Listen in der Hand hielt, wusste Maria plötzlich: Sie konnte nicht mehr. Sie wollte leben, atmen, schaffen. Sie wollte einen Job, der ihr das Gefühl von Würde zurückgab. Ob ein kleines Büro oder ein gemütlicher Laden – Hauptsache, sie konnte endlich wieder sie selbst sein und nicht die Marionette ihres Mannes. Und als sie den Laptop mit den Jobangeboten zuklappte, flüsterte sie leise: „Ich bin müde, aber noch lange nicht fertig. Ich finde einen Weg zurück in mein eigenes Leben.“