Ich muss verrückt sein, aber mit 56 Jahren wage ich den Schritt ins Eheleben

**Tagebucheintrag**

Ich muss wohl den Verstand verloren haben, aber mit 56 Jahren habe ich beschlossen zu heirieten.

Mein Herz klopfte vor Aufregung und Zweifel, als mir klar wurde, dass ich mit sechsundfünfzig vor einem neuen Leben stehe. Ich habe eine erwachsene Tochter – klug, hübsch, eine erfolgreiche Anwältin in einer großen Kanzlei in München. Sie ist mein Stolz, doch leider habe ich sie nie ihrem leiblichen Vater vorgestellt. Diese Wunde schmerzt noch immer und erinnert mich an eine Vergangenheit voller unerfüllter Hoffnungen.

Alles begann während des Studiums. Damals, in Hamburg, traf ich ihn – Antonio, einen Italiener, der Deutsch lernte. Seine dunklen Augen und sein warmes Lächeln verzauberten mich vom ersten Moment an. Wir lernten uns auf einer Uniparty kennen, und zwischen uns funkte es sofort. Ich zeigte ihm die Stadt, wir schlenderten durch schneebedeckte Straßen, und ich fühlte mich wie die Heldin eines Liebesfilms. Noch heute liebe ich Italien – meine Tochter und ich haben es längst bereist – doch damals war unsere Romanze nur kurz wie ein Frühlingshauch. Antonio kehrte zurück, und ich blieb mit einer Nachricht zurück, die mein Leben auf den Kopf stellte: Ich erwartete ein Kind.

Ich war erst zwanzig und völlig verzweifelt, doch meine Eltern standen mir bei. Sogar mein sonst so strenger Vater freute sich auf seine Enkelin. So kam meine Lina zur Welt – mein Sonnenschein. Mit der Hilfe meiner Eltern schloss ich das Studium ab, fand einen Job, und das Leben nahm seinen Lauf. Doch heiraten wollte ich nicht, ich widmete mich ganz meiner Tochter und der Karriere.

Dann, vor einem halben Jahr, schenkte mir das Schicksal eine Überraschung. Ich traf Heinrich – einen Mann, der mein Herz wieder höher schlagen ließ. Unsere Bekanntschaft begann fast komisch. Ich war im kleinen Supermarkt in meiner Nachbarschaft, um einzukaufen. An der Kasse fiel mir ein, dass ich den Kaffee vergessen hatte – mein morgendliches Ritual. Ich ließ den Korb stehen und lief zurück, ohne zu merken, dass ich den Mann hinter mir damit ärgerte. Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Ich bezahlte und ging. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir – es war er, mit einer Schokolade in der Hand und einem entschuldigenden Lächeln. *„Verzeihen Sie, ich war müde und gereizt“*, sagte er, und wir kamen ins Gespräch. So begann unsere Geschichte.

Heinrich erwies sich als faszinierend: Er arbeitete im Heimatmuseum, war belesen, liebte klassische Musik und das Theater. Geschieden, mit erwachsenen Kindern, die ihr eigenes Leben führten. Wir besuchten Ausstellungen und Aufführungen, und mir wurde bewusst, wie lange ich mir solche Freuden nicht gegönnt hatte. Mit ihm fühlte ich mich wieder lebendig, jung, begehrt. Wir sprachen über Musik, Kunst, Bücher, und ich merkte, dass ich seit Jahren nicht mehr so glücklich gewesen war.

Ein halbes Jahr verging wie im Flug, und eines Tages machte Heinrich mir einen Antrag. Ich sagte ohne Zögern zu. Vielleicht, weil ich nie verheiratet war. Vielleicht, weil die Einsamkeit mich müde gemacht hatte. Doch in diesem Moment war ich sicher, dass es richtig war. Wir gaben die Anzeige auf, und Heinrich zog zu mir nach München. Wir wollten uns erst aneinander gewöhnen, bevor wir heirateten. Doch genau dann begannen die Probleme, mit denen ich nicht gerechnet hatte.

Die Jahre allein hatten mich geprägt, meine Gewohnheiten waren Teil von mir geworden. Kleinigkeiten, dachte ich: der Morgenkaffee, das geöffnete Fenster vor dem Schlafengehen, die Stille, während ich mich für die Arbeit fertig mache. Doch mit Heinrich änderte sich alles. Plötzlich fühlte ich mich fremd im eigenen Haus. Auch er war nicht bereit, sich anzupassen. Und sein Schnarchen… Oh, dieses Schnarchen! Mein Schlaf war immer leicht, jedes Geräusch weckte mich, und dann wälzte ich mich stundenlang. Sein Schnarchen aber war wie ein Donnerschlag. Ich wachte auf, mein Herz raste, der Blutdruck stieg, und am nächsten Tag hämmerten die Schläfen. Es wurde zur Qual.

Eine weitere Kleinigkeit, die mich wahnsinnig machte: Ich schlafe gern bei frischer Luft, aber ihm ist es zu kalt. Er schließt das Fenster, und ich liege da, ersticke in der stickigen Luft. Wir streiten, und jedes Mal spüre ich, wie meine Freiheit in diesen Alltagsdingen zerfließt. Wer hätte gedacht, dass solch winzige Dinge eine Mauer zwischen zwei liebenden Menschen bauen könnten?

Der Morgen war eine weitere Prüfung. Früher kochte ich mir Kaffee, aß vielleicht einen Toast und genoss die Ruhe, während ich die Nachrichten hörte. Jetzt kommentiert Heinrich alles – jede Meldung, jeden Schluck Kaffee. *„Am Morgen braucht man etwas Richtiges“*, sagt er, und ich fühle mich wie ein Kind, das ermahnt wird. Mein Morgenritual ist zerstört, und ich sehne mich nach der Zeit zurück, in der ich einfach ich selbst sein konnte.

Am schlimmsten aber ist sein Aussehen zu Hause. Draußen ist er elegant, immer tadellos angezogen. Doch daheim? Zerrissene T-Shirts, abgetragene Hosen, die er *„bequem“* nennt. Ich weiß nicht, woher er diese Lumpen hat, aber sie bringen mich zur Weißglut. Es ist eine Invasion in mein Reich, in mein Leben, das ich mir so sorgfältig aufgebaut habe.

Nun sitze ich hier und denke: Habe ich mich zu schnell entschieden? Meine Tochter rät mir, es eine Chance zu geben, sagt, wir müssten uns erst einleben. Aber ich bin sechsundfünfzig – ich will mich nicht mehr verbiegen, nicht einmal für einen guten Menschen. Heinrich ist wunderbar, klug, liebevoll, doch immer öfter denke ich, dass die Einsamkeit gar nicht so schlimm war. Ich fürchte, wir werden keinen gemeinsamen Weg finden, dass diese Kleinigkeiten unsere Liebe zermürben wie Rost. Und doch hoffe ich irgendwo tief in mir, dass wir einen Kompromiss finden. Oder bin ich wirklich verrückt, weil ich in diesem Alter noch heiraten wollte?

**Man lernt nie aus – selbst mit sechsundfünfzig nicht.**

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