Ich halte es nicht mehr aus. Wohin soll ich meine alte Mutter geben?
Ich bin am Ende. Ich dachte, ich würde es schaffen, aber ich habe keine Kraft mehr. Meine Geschichte zerreißt mir das Herz.
Ich bin das zweite Kind in der Familie. Mein älterer Bruder, Markus, ist drei Jahre älter als ich. Meine Mutter bekam uns spät: Markus mit 42. Meine Eltern haben lange auf Kinder gewartet – meine Mutter hatte Probleme, schwanger zu werden, aber dann geschah das Wunder, und sie brachte ihn zur Welt.
Ich, Greta, kam drei Jahre später, als sie schon 45 war. Ihr Alter war immer spürbar. Wir wuchsen mit Eltern einer älteren Generation auf, und das prägte uns. Manchmal fehlte uns ihre Energie, ihr Verständnis für unsere Welt, aber im Großen und Ganzen beschwerten wir uns nicht. Sie liebten uns bedingungslos, und wir versuchten, es ihnen gleichzutun.
Mit 17 verlor ich meinen Vater. Ein Schock für uns alle. Meine Mutter kam lange nicht mehr zur Ruhe, ihre Augen verloren ihren Glanz, und ihr Herz schien zu zerbrechen. Für Markus und mich war es ein unersetzlicher Verlust, doch wir hielten zusammen und überstanden das Leid irgendwie. Das Leben ging weiter. Markus studierte, machte seinen Abschluss und zog nach Kanada, wo er noch heute lebt. Ich blieb in meiner Heimatstadt München.
Jetzt ist meine Mutter 78 und braucht rund um die Uhr Pflege. Ich nahm sie zu mir in meine kleine Wohnung. Doch ehrlich gesagt, ist es härter, als ich je gedacht hätte. Ein alter Mensch in diesem Alter ist anstrengender als ein Kind. Sie vergisst ständig, das Bügeleisen auszuschalten, obwohl ich sie tausendmal gebeten habe, meine Sachen nicht anzufassen. »Ich will doch nur helfen«, sagt sie, und ich atme nur tief durch, denn ich kann ihr deswegen keine Vorwürfe machen.
Ich traue mich nicht, ihr zu sagen, dass sie nicht mehr kochen kann. Ihr Essen ist entweder versalzen oder halb roh, manchmal vergisst sie sogar, dass sie einen Topf auf den Herd gestellt hat. Ihre Gedächtnisprobleme werden immer beängstigender. Einmal ging sie aus dem Haus und fand nicht mehr zurück. Wir suchten stundenlang, ich rief alle Bekannten an, durchkämmte die Nachbarschaft, bis eine Freundin anrief und sagte, sie hätte meine Mutter verwirrt und verängstigt im Park gesehen.
Noch heute zittere ich bei dem Gedanken, was hätte passieren können, wenn nicht dieser Anruf gewesen wäre. Die Pflege meiner Mutter zehrt mich auf. Ich will mein eigenes Leben leben, doch stattdessen wird jeder Tag zum Marathon der Fürsorge. Ich halte es nicht mehr aus.
Ich bin selbst schon über 50. Ich habe zwei Kinder großgezogen, ihnen alles gegeben, und jetzt, wo sie ausgezogen sind, dachte ich, endlich Zeit für mich zu haben. Doch stattdessen bin ich wieder in der Rolle der Betreuerin – diesmal für meine eigene Mutter. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich, sie wird hilfloser, und ich spüre, wie meine Kraft schwindet.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Manchmal habe ich diesen schrecklichen Gedanken: Wohin kann ich sie geben? Ich weiß, wie furchtbar das klingt. Sie ist meine Mutter, die mir das Leben schenkte, die alles für mich und Markus opferte. Aber ich ertrinke. Körperlich und seelisch bin ich am Ende.
Mein Bruder Markus ruft aus Kanada an, fragt, wie es läuft, aber helfen kann er nicht. Er hat sein eigenes Leben, seine Familie, seine Sorgen. Er schickt Geld, aber Geld löst das Problem nicht. Ich kämpfe allein in diesem Krieg, und jeder Tag ist ein Kampf mit der Schuld. Ich schäme mich, weil ich genervt reagiere, weil ich mir Freiheit wünsche, weil ich manchmal einfach fliehen möchte.
Meine Mutter kann nichts für ihren Zustand. Sie hat nicht darum gebeten, alt, krank und vergesslich zu werden. Aber ich habe auch nicht darum gebeten, dass mein Leben zur dauerhaften Pflege wird. Ich liebe sie, doch diese Liebe wird zur Last.
Manchmal erinnere ich mich daran, wie sie früher war: stark, fürsorglich, immer bereit zu helfen. Jetzt braucht sie Hilfe, und ich komme nicht mehr hinterher. Ich will sie nicht in ein Pflegeheim geben – allein der Gedanke zerbricht mir das Herz. Doch wie lange halte ich noch durch?
Meine Freundinnen sagen, ich sollte eine Pflegekraft einstellen oder soziale Dienste um Hilfe bitten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Fremder sich um sie kümmern soll. Und wenn sie grob zu ihr ist? Wenn sie sich verlassen fühlt?
Jeden Abend, wenn ich meine Mutter ins Bett bringe, sehe ich ihr Gesicht und erkenne, wie sie altert. Sie lächelt mich an, nennt mich manchmal beim Namen, verwechselt mich aber auch mit anderen. Und immer wieder frage ich mich: Wo finde ich die Kraft, weiterzumachen?
Ich weiß nicht, wohin mit meiner alten Mutter. Ich weiß nicht, wie ich die Pflicht ihr gegenüber mit meinem Wunsch nach einem eigenen Leben vereinbaren soll. Meine Liebe zu ihr kämpft mit meiner Verzweiflung, und ich weiß nicht, wer gewinnen wird.