Geheimnisse hinter verschlossenen Türen: Ein Drama in Sofias Familie
Sofia stemmte sich gegen die schweren Einkaufstüten und kämpfte sich mühsam durch die Haustür ihres alten Hauses am Rand von Neustadt. Atemlos betrat sie den abgetretenen Parkettboden und ging direkt in die Küche. Dort saßen ihre Tochter Anna und ihr Schwiegersohn Markus hinter dem schlichten Holzticht und aßen zu Abend. Der Duft von Bratkartoffeln hing in der Luft, doch in Sofias Herz war kein Platz für Gemütlichkeit.
„Mama, hallo! Ich habe Kartoffeln gebraten, möchtest du auch?“ fragte Anna und blickte von ihrem Teller auf.
„Nein“, antwortete Sofia knapp, während sie die Tüten auf den Boden stellte. Sie hatte keinen Appetit. Sie goss sich eine Tasse Tee ein, trank einen Schluck und spürte die Müdigkeit in jedem Glied ihres Körpers. Dann ging sie in ihr Zimmer. Doch plötzlich erreichte sie ein gedämpftes Flüstern aus der Küche. Anna und Markus redeten leise miteinander, offenbar um nicht gehört zu werden. Neugier und Unbehagen stachen in Sofias Herz. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt, trat in den Flur und lauschte. Was sie hörte, ließ sie erstarren – sie traute ihren Ohren nicht.
Sofia war früh verwitwet. Ihr Mann hatte das Leben plötzlich verlassen und sie mit zwei Töchtern in eisiger Einsamkeit zurückgelassen. Die Erinnerungen an diese Zeit schnitten ihr noch immer wie ein scharfes Messer ins Herz. Ihre ältere Tochter, Anna, hatte damals die neunte Klasse abgeschlossen. Sofia hatte gehofft, dass sie studieren würde – vielleicht Ärztin oder Lehrerin werden – doch das Leben hatte andere Pläne. Das Geld reichte kaum für das Nötigste, und statt an die Universität zu gehen, begann Anna eine Ausbildung.
„Mach dir keine Sorgen, Mama“, tröstete Anna damals und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich mache die Ausbildung, gehe arbeiten, und vielleicht kann ich später noch nebenbei studieren. Jetzt ist einfach nicht die richtige Zeit.“
Die jüngere Tochter, Lina, war erst zwölf gewesen. Sie war der Liebling ihres Vaters gewesen, und sein Tod hatte sie zutiefst erschüttert. Das Mädchen zog sich zurück, verlor ihre Lebensfreude und hatte bald auch Probleme in der Schule. Sofia und Anna kümmerten sich um Lina wie um eine zerbrechliche Blume und versuchten, sie aus dem Abgrund der Trauer zu ziehen. Mit der Zeit erholte sich Lina langsam, doch der Schatten des Verlustes lag noch immer über der Familie.
Nun hing der Lebensunterhalt allein an Sofia. Sie nahm einen zweiten Job an, doch das Geld reichte nie. Neben Essen und Rechnungen mussten die Mädchen Kleidung und Schuhe bekommen. Sofia rannte wie ein Hamster im Rad, doch die Erschöpfung lastete schwer auf ihren Schultern. Anna schloss ihre Ausbildung ab und fing an einer örtlichen Schule an. Die Träume vom Studium waren längst vergangen – dafür war keine Zeit geblieben. Dafür hatte Anna nun Markus, über den sie stundenlang schwärmen konnte.
„Mama, Markus ist so wunderbar! Er liebt mich, er kümmert sich um mich!“ schwärmte Anna, ihre Augen glänzten vor Freude.
Markus kam ursprünglich aus einer anderen Stadt. Er arbeitete mit Anna an derselben Schule und wohnte in einem kleinen Zimmer im Wohnheim. Bald bat Anna darum, dass er zu ihnen ziehen durfte.
„Darf er bitte bei uns wohnen? Zumindest vorübergehend?“, flehte sie. „Ich will dich und Lina nicht allein lassen, aber ohne ihn kann ich auch nicht.“
Sofia stimmte zu, heimlich erleichtert. Sie hoffte, Markus würde eine helfende Hand sein – männliche Unterstützung hatte ihr immer gefehlt. Sie war es leid, schwere Tüten zu schleppen, Wasserhähne zu reparieren und all die Aufgaben zu übernehmen, die sonst ein Mann erledigt hätte. Doch ihre Hoffnungen zerschellten schnell an der Wirklichkeit.
Markus hatte einen starken Charakter. Er richtete sich schnell in der Wohnung ein, doch statt zu helfen, benahm er sich bald wie der Herr im Haus. Schon nach einer Woche fing er an, alles zu kommentieren.
„Deine kleine Schwester, Lina, ist viel zu verwöhnt“, erklärte er eines Abends beim Essen. „Mit ihr muss man strenger sein. Du verhätschelst sie zu sehr.“
„Meine Tochter ist in Ordnung“, fuhr Sofia ihn an und stellte sich schützend vor Lina. „Du weißt nicht, wie schwer es für sie ohne ihren Vater war.“
„Ich glaube, sie manipuliert euch“, beharrte Markus. „Ich sage ihr, was sie tun soll, und sie schweigt oder wird frech. Wäre ich ihr Vater, hätte ich sie längst anders erzogen.“
Sofia spürte, wie sich Wut in ihrer Brust zusammenballte. Lina machte ihr nie Probleme. Wenn sie Zeit hatte, half sie im Haushalt, und sie verlangte nie nach neuen Sachen. Wenn sie etwas bekam, war es schön – wenn nicht, kam sie auch zurecht. Doch Markus mischte sich in alles ein. Es störte ihn, wie geputzt wurde, wie gekocht wurde.
„Meine Mutter wischt jeden Tag den Boden“, belehrte er Anna. „Und in ihrer Küche ist immer perfekte Ordnung.“
Einmal hörte Sofia zufällig, wie Markus Anna zurechtwies:
„Das Geschirr darf nicht in der Spüle liegen. Es muss abgetrocknet und weggeräumt werden, damit es nicht staubig wird.“
„Bei uns ist auch immer Ordnung“, verteidigte sich Anna, doch in ihrer Stimme lag Unsicherheit.
Eines Tages, als sie mit Anna allein war, hielt Sofia nicht mehr stand.
„Verzeih mir, Kind, aber dein Markus ist unerträglich“, sagte sie offen. „Er hilft nicht, aber er hat zu allem etwas zu sagen.“
Anna senkte den Blick, und Tränen liefen ihr über die Wangen.
„Was soll ich nur tun, Mama? Ich liebe ihn. Ja, er ist pingelig, aber man kann damit leben.“
„Man kann“, seufzte Sofia. „Die Frage ist nur – wie?“
Sie schleppte weiterhin schwere Einkaufstüten allein nach Hause. Markus bot nie an, einzukaufen oder wenigstens zu helfen. Stattdessen kritisierte er alles.
„Meine Mutter kauft Fleisch nur auf dem Markt“, hörte Sofia aus der Küche, wo Anna und Markus gerade aßen.
Sofia trank ihren Tee aus und ging ins Wohnzimmer, um sich mit dem Fernsehen abzulenken. Doch selbst dort erreichte sie Markus’ Stimme:
„Frau Schneider hat das Fleisch bestimmt im Discounter gekauft. Deshalb schmecken die Frikadellen auch nicht.“
Die Erschöpfung überwältigte Sofia wie eine dunkle Decke. Wie schön war ihr Zuhause doch gewesen, bevor dieser unerträgliche Markus auftauchte! Früher hatten sie harmonisch gelebt, einander unterstützt – doch jetzt lag ewige Spannung in der Luft.
Nach dem Abendessen rief Sofia Anna zu sich.
„Kind, wir müssen reden“, begann sie vorsichtig. „Ich liebe dich, aber dein Markus…“
„Ich verstehe“, unterbrach Anna mit zitternder Stimme. „Nächste Woche ziehen wir in sein Zimmer im Wohnheim. Das ist besser für alle.“
Doch besser wurde es nicht.
Einen Monat später kam Anna zurück. Allein. Ihr Koffer stand in der Tür, ihre Augen waren rot von Tränen.
„Ich halte es nicht mehr aus“, flüsterte sie und sah ihre Mutter an. „Seine Pedanterie und seine Vorwürfe sind unerträglich. Gestern haben wir uns gestritten, weil ich das Waschbecken nicht trocken gewischt habe. Und heute dachte ich, er freut sich, mich zu sehen – aber nein, ich hatte die Schuhe nicht ordentlich ins Regal gestellt! Für Lebensmittel gibt er nichts aus, er spart alles ‚für Notfälle‘. Ich kaufe das Essen, ich bezahle die Miete. Nicht einmal Blumen hat er mir gesDoch jetzt, da sie wieder zu Hause war, spürte Sofia, dass die wahre Stärke ihrer Familie nicht im Perfektionismus lag, sondern in der bedingungslosen Liebe und dem Zusammenhalt, der sie durch alle Stürme des Lebens trug.