Der Sohn fordert uns auf, ein Testament zu schreiben – ich bin 56 und mein Mann 57.

Unser Sohn erklärte, mein Mann und ich müssten ein Testament aufsetzen. Ich bin 56, er 57.

Nie hätte ich gedacht, dass ein Gespräch mit meinem eigenen Sohn mir das Herz brechen könnte. Wir haben nur ein Kind – unseren Tim, unser Stolz, unsere ganze Liebe. Seit seiner Geburt lebten wir für ihn, gaben alles, was wir hatten: Zeit, Kraft, Träume. Wir wollten, dass es ihm an nichts fehlt – die beste Schule, ein warmes Zuhause, eine sichere Zukunft. Dafür opferten mein Mann, Stefan, und ich unsere eigenen Wünsche, arbeiteten uns müde und sparten jeden Cent. Doch dieser Abend in unserem gemütlichen Haus in Freiburg drehte alles auf den Kopf.

Tim kam mit ernstem, fast hartem Gesicht zu uns. Er setzte sich uns am alten Eichentisch im Wohnzimmer gegenüber, als wolle er etwas Schicksalhaftes verkünden. Ein eisiger Klumpen Angst kroch mir in die Brust. »Mama, Papa, wir müssen über die Zukunft reden«, begann er und schaute an uns vorbei. »Ich finde, ihr solltet ein Testament machen.«

Ich erstarrte. Stefan warf mir einen verstörten Blick zu, und mir wurde schwindelig. Ein Testament? Wir sind noch voller Energie, planen eine Reise ans Meer, träumen von neuen Projekten – und unser Sohn redet vom Tod? »Tim, warum jetzt?«, brachte ich mühsam heraus und kämpfte gegen das Zittern in der Stimme. »Wir sind gesund, wir haben noch so viel Zeit vor uns.« Doch er blieb stur. »Mama, das Alter spielt keine Rolle. Man muss das regeln, damit es später keine Probleme gibt. Ich muss wissen, was ihr mir hinterlasst.«

Seine Worte schnitten wie ein Messer. Kein Funken Sorge um uns, unsere Gesundheit oder unsere Zukunft. Nur kaltes Kalkül, als würde er schon unser Vermögen aufteilen, bevor wir gegangen sind. Ich sah ihn an – den Jungen, den wir mit so viel Liebe großgezogen hatten – und konnte es nicht fassen. Sind wir für ihn nur noch Besitzer einer Wohnung, eines Autos und unseres Ersparten? Nicht Eltern, sondern eine Erbmasse?

Stefan schwieg, starrte auf den Tisch, als suche er in den Holzmaserungen eine Antwort auf diesen Albtraum. Ich kämpfte gegen die Tränen, die mir in den Augen brannten. Wie konnte unser Sohn, den wir beschützt, dem wir das Beste gegeben hatten, uns jetzt nur noch materiell sehen? Ich erinnerte mich daran, wie ich nächtelang an seinem Bettchen saß, wie Stefan ihm Fahrradfahren beibrachte, wie wir uns über seine ersten Schritte und Worte freuten. Und jetzt sitzt er da und verlangt ein Testament, als stünden wir mit einem Fuß im Grab.

»Tim«, sagte Stefan endlich mit ruhiger Stimme, doch ich hörte den Schmerz darin, »wir haben uns immer um dich gekümmert. Alles, was wir haben, ist für dich. Aber jetzt darüber zu reden… Das fühlt sich an, als würdest du die Zeit drängen.« Unser Sohn runzelte die Stirn, als hätte er diese Antwort nicht erwartet. »Papa, ich will nur, dass alles fair geregelt ist«, antwortete er, aber sein Ton klang gereizt. »Ich will nicht, dass es später Streit gibt.«

Streit? Probleme? Eine Welle der Kränkung überrollte mich. Stefan und ich haben nie etwas aufgeteilt, immer für die Familie, für Tim gearbeitet. Und jetzt redet er von Streit, als wären wir Fremde. In diesem Moment spürte ich, wie etwas zwischen uns brach – wie dünnes Glas. Liebe, Vertrauen, Wärme, alles, was wir über Jahre aufgebaut hatten, stand plötzlich infrage.

Ich versuchte, mich zu sammeln. »Tim«, sagte ich mit fester Stimme, »wir leben für dich, aber das heißt nicht, dass wir jetzt über den Tod nachdenken müssen. Wir sind noch hier, bei dir. Ist das nicht wichtiger?« Er zuckte nur mit den Schultern, als wären meine Worte bedeutungslos. »Ich sorge mich halt um die Zukunft«, warf er hin und ging, ließ uns in bedrückender Stille zurück.

In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. Ich lag neben Stefan, hörte seinen gleichmäßigen Atem und fragte mich: Wo haben wir versagt? Haben wir Tim zu sehr verwöhnt? Ihm zu viel gegeben, ohne ihm beizubringen, dass Menschen mehr zählen als Dinge? Am nächsten Morgen sagte Stefan, als hätte er meine Gedanken gelesen: »Er ist noch jung, Kathrin. Vielleicht versteht er einfach nicht, wie verletzend das klingt.« Doch in seinen Augen lag derselbe Schmerz wie in meinem.

Ein Monat verging, doch das Gespräch blieb wie ein Splitter im Herzen. Tim brachte das Thema nicht wieder auf, aber ich merkte, wie er längere Unterhaltungen mied. Als wüsste er, dass er zu weit gegangen war, aber nicht wüsste, wie er es wiedergutmachen soll. Und ich? Ich begann, über das Leben nachzudenken, über das, was wirklich zählt. Stefan und ich beschlossen, dass wir natürlich ein Testament machen würden – nicht wegen Tim, sondern für unser eigenes Gewissen. Damit alles »fair geregelt« ist, wie er es nannte. Doch heimlich hoffe ich, dass er eines Tages begreift: Das wahre Erbe sind nicht Geld oder Besitz, sondern die Liebe, die wir ihm unser ganzes Leben schenkten.

Das Leben in Freiburg geht weiter. Stefan und ich planen immer noch unsere Reise, lachen über alte Witze und freuen uns, wenn Tim zu Besuch kommt. Doch dieser Abend hat Spuren hinterlassen – bittere, aber wichtige. Er erinnerte uns daran, dass die Zeit unaufhaltsam ist, und lehrte uns, jeden gemeinsamen Moment zu schätzen. Und Tim? Ich hoffe, er versteht irgendwann, dass Familie kein Vertrag ist, sondern eine Verbindung, die von Liebe lebt – nicht von Papieren.

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